Jahrzehntelang keine „Wiedergutmachung“ für Schwule in der Nachkriegszeit

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Die Diskriminierung von Homosexuellen hat eine lange Tradition

Diese wurde 1872 mit dem menschenverachtenden Paragraphen 175 des Strafgesetzbuchs (StGB), der Homosexualität unter Strafe stellte, deutschlandweit einheitlich „geregelt“. Bis zu seiner endgültigen Abschaffung 1994 wurde der Paragraph mehrfach abgeändert und gerade in der NS-Zeit deutlich verschärft. Damit gehörten Schwule zu den vielen offen verfolgten Opfergruppen des Nationalsozialismus.

So war etwa in der NSZ Westmark vom 4. September 1941 zu lesen, dass Hans Knuhr aus Ludwigshafen/Rhein festgenommen und in ein Konzentrationslager eingewiesen wurde, da er als Homosexueller eine dauernde Gefahr für die Jugend sei.

Da aber der § 175 in abgewandelter Form auch nach 1945 in Kraft blieb, verwehrte man den Homosexuellen eine Wiedergutmachung für das erlittene Leid, da sie dadurch auch weiterhin keiner anerkannten Opfergruppe angehörten.

Exemplarisch sei dies am Schicksal von Karl Engelmann (1905 Ludwigshafen – 1983 Rheinzabern) gezeigt. Engelmann wurde 1938 in Dortmund verhaftet und ins Konzentrationslager (KZ) Sachsenhausen verbracht. Danach kam er 1940 ins KZ Flossenburg, 1944 ins KZ Dachau und 1944 ins KZ Mauthausen, aus dem er am 6. Mai 1945 befreit wurde. Nach dem Krieg stellte er einen Antrag auf Wiedergutmachung aufgrund von Freiheitsentzug sowie Schäden an Körper und Gesundheit, der 1961 vom Wiedergutmachungsamt Neustadt abgelehnt wurde. Diese Ablehnung wurde damit begründet, dass er „wegen zahlreicher Vorstrafen, insbesondere wegen Vergehens nach § 175 StGB und wegen Landstreicherei verurteilt worden“ [1] sei. Dagegen klagte Engelmann vor dem Landgericht Frankenthal, das Anfang 1962 entschied, dass § 1 BEG[2] nicht zutreffe, aber ein Härteausgleich nach § 171 BEG möglich sei. Daraufhin wurde die Klage unter Vorbehalt zurückgenommen und ein neuer Entschädigungs-Antrag wegen einer Zwangssterilisierung bzw. Kastration (Hodenentfernung) in einem Konzentrationslager (18. November 1941 Flossenbühl) und eines aufgrund des Aufenthalts im KZ- Sachsenhausen 1939 verkrüppelten Arms gestellt.

Als 1963 auch dieser Antrag vom Wiedergutmachungsamt Mainz u. a. mit dem Verweis auf die Verurteilung auf Grund des § 175 abgelehnt wurde, musste Engelmann erneut gegen das Land Rheinland-Pfalz klagen.[3] Diesen Prozess gewann er jedoch nur deshalb, weil seiner Zwangssterilisation kein gesetzlich geregeltes Verfahren vorausging und diese Maßnahme außerdem deutlich über das hinausging, was gesetzlich vorgesehen war, während der Freiheitsentzug und der verkrüppelte Arm ignoriert wurden.

1965 erhielt er schließlich eine einmalige Entschädigung. Viele andere Männer in vergleichbarer Situation blieben ohne eine Wiedergutmachung, da diese u. a. mit dem Verweis auf § 175 abgelehnt wurde. Das Unrecht an Homosexuellen als auch nach 1945 diskriminierte Gruppe wurde in der Anfangszeit der Bundesrepublik nicht anerkannt. Daher wurden diese weder als Opfer der NS-Zeit anerkannt, noch für widerfahrenes Leid im Kontext ihrer sexuellen Orientierung entschädigt.

[Anm. der Redaktion: 2017verabschieden Bundestag und Bundesrat ein Gesetz, mit dem die früheren Verurteilungen schwuler Männer laut § 175 StGB aufgehoben werden. Jahrzehnte nach ihrer Verurteilung werden damit tausende homosexuelle Justizopfer rehabilitiert und entschädigt.]

 

[1] LA SP J6 Nr. 6563 (Landesarchiv Speyer)

[2] Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung.

[3] LA SP J10 Nr. 10783 (Landesarchiv Speyer)

 

Autor*in

Stefan Jamin M. A. ist seit 2014 als freiberuflicher Historiker tätig. Seine Themenschwerpunkte sind Familienforschung, Regionalgeschichte, NS-Geschichte und Altersforschung. Im Rahmen des Ausstellungs- und Webprojekts „Vom anderen Ufer?“ hat er die Biografien schwuler Männer aus Ludwigshafen am Rhein und Rheinland-Pfalz erforscht.

www.historischer-recherchedienst.de