Die SED bezeichnete die DDR als antifaschistisch. Dies wäre ein Ansatzpunkt gewesen, mit dem von den Nationalsozialisten 1935 verschärften § 175, der männliche Homosexualität unter Strafe stellte, zu brechen. Außerdem waren die Arbeiterparteien KPD und SPD in den 1920er Jahren im Reichstag für die Abschaffung des § 175 eingetreten. Doch die Fortführung dieser Traditionslinien blieb aus.
In die Verfassung übernahm 1949 auch der SED-Staat die von den Nationalsozialisten verschärfte Variante des § 175. 1950 wurde nach einem Gerichtsurteil die vor 1935 geltende Version des § 175 geltendes Recht. Meist hinter den Kulissen war in den 1950er Jahren eine Diskussion um die Abschaffung des § 175 im Gange. Die Initiative ging vom schwulen Arzt Rudolf Klimmer aus. Er wurde auf inoffizieller Ebene von prominenten Genossen wie dem späteren Nationalpreisträger und Kinderbuchautoren Ludwig Renn, selbst schwul, unterstützt. Auf offizieller Ebene erhielt Klimmer u. a. Unterstützung vom Leipziger Oberbürgermeister. In der sächsischen Presse fanden sich zeitgenössische Artikel, die dieses Anliegen diskutierten.
Im Gefolge des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 verschwand die Diskussion um eine Abschaffung des § 175. Die DDR-Presse schwenkte zum Teil bis auf die Wortebene auf die Argumentation der Nationalsozialisten ein. Offenbar war die SED bei ihrer Machtstabilisierung nicht daran interessiert, in der Bevölkerung unpopuläre Themen, wie einen positiven Umgang mit Homosexualität weiter zu diskutieren, und so die geringe Zustimmung zu ihrer Politik zu gefährden. Außerdem richtete sich die SED zunehmend am Kurs der KPdSU aus. Eine positive Einstellung zur Homosexualität gab es in der UdSSR nicht. Auch bei Marx und Engels wurde Homosexualität negativ besprochen. Die Darstellung von Homosexualität war in der Presse dennoch verbreitet. Vor allem, um sie im Westen anzusiedeln und in den Kontext von Raub, Mord, Erpressung und Gefährdung der Jugend zu stellen. Homosexualität wurde zu dieser Zeit politisch-gesellschaftlich diskutiert.
In den 1960er Jahren diskutierte man medizinisch-biologisch. Der Endokrinologe Dr. Dörner führte Experimente an Ratten durch, mit denen er zu beweisen glaubte, dass Homosexualität bei Neugeborenen durch eine Hormoninjektion kurz vor der Geburt verhindert werden könne. Es ist zu vermuten, dass seine staatlich geförderte und ihre Ergebnisse offiziell verbreitende Wissenschaft die Unterstützung der SED hatte. Ein erkennbares Engagement von Schwulen und Lesben gab zu dieser Zeit nicht.
Dies änderte sich zu Beginn der 1970er Jahre. Der Ansporn kam aus dem Westen. Nach der Ausstrahlung von Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ in der ARD und mit Unterstützung der West-Berliner Schwulenszene kam es 1972 in Ost-Berlin zur Gründung der Homosexuellen Initiative Berlin (HIB). Die Gruppe von etwa 20 bis 30 Personen um Peter Rausch traf sich an verschiedenen Orten Ost-Berlins; oft im Gutshaus von Charlotte von Mahlsdorf. Ziel war, sich zunächst ein schwul-lesbisches Selbstbild zu verschaffen und sich dann für seine Anliegen in der Öffentlichkeit einzusetzen.
Anlässlich der Weltfestspiele der Jugend 1973 in Ost-Berlin trat die HIB mit dem Plakat „Wir Homosexuelle der Hauptstadt begrüßen die Teilnehmer der X. Weltfestspiele und sind für den Sozialismus in der DDR“ in Erscheinung. Mit Treffen, Eingaben oder einem Vortragsabend war die HIB aktiv. Staatlich anerkannt wurde sie nicht. Die Begründung war die Streichung des § 175 im Jahr 1968. Durch die Etablierung des § 151, der nur homosexuelle Kontakte mit unter 18-Jährigen bestrafte und damit auch erstmalig homosexuelle Kontakte von Frauen, war aus Sicht des SED-Staates jeder Grund zu einem eigenständigen Engagement homosexueller Gruppen entfallen, da Homosexualität unter Erwachsenen von Gesetzes wegen nicht mehr diskriminiert würde.
Dass es trotzdem ein solches Engagement gab und sich die Schwulen und Lesben zur Selbstvergewisserung und für die Information anderer (aus Mangel an Informationen aus DDR-Produktion) auf Informationen aus dem Westen stützten, erregte den Argwohn der Behörden. Die beginnende Schwulen- und Lesbenbewegung wurde als „feindlich-negativ“ eingestuft und von der Staatssicherheit überwacht. Auch durch andere administrative Maßnahmen versuchte man staatlicherseits, die beginnende Bewegung zu behindern.
Seit 1982 begannen die Schwulen und Lesben sich innerhalb der evanglischen Kirche, als dem einzigen Bereich, der nicht unter völliger Staats-Kontrolle stand, zu organisieren und an Kirchentagen aufzutreten. Unter dem Dach der Kirche bildeten sich Arbeitskreise (AK) Homosexualität in nahezu allen größeren Städten, von denen bis 1989 nahezu 20 existierten. Zentraler Akteur der kirchlichen Gruppen war Eduard Stapel, selbst Theologe. Mit einer Lesbengruppe um Ursula Sillge kam es in den 1980er Jahren dann in Ost-Berlin zur Gründung des Sonntags-Klubs als erstem schwul-lesbischen Klub, der nicht an eine kirchliche Organisation angeschlossen war.
Mit dem Niedergang der SED-Herrschaft begann eine Öffnung des Staates. In den Medien fanden sich positive Berichte zum Thema Homosexualität. Verschiedene Universitäten richteten Kongresse aus. Schließlich wurde die Ungleichbehandlung von hetero- und homosexuellen Kontakten, die der § 151 festgeschrieben hatte, abgeschafft. Es galt – erstmals in Deutschland – dieselbe Altersgrenze für hetero- und homosexuelle Kontakte. Die Staatsjugend FDJ musste ab 1988 monatlich in ihren Klubs einen Abend ausrichten, an dem Homosexualität Thema war. In der Folge kam es zur Gründung von Schwulen- und Lesbengruppen, die sich an die SED und ihre Strukturen anlehnten – und teilweise zu großen Animositäten der staatlichen und kirchlichen Gruppen.
Nach der Wende schlossen sich die ostdeutschen Schwulen- und später Lesbengruppen zum LSVD zusammen, dem die westdeutschen Gruppen beitraten. Da die DDR den § 151 abgeschafft hatte, galt in Deutschland ab 1990 zweierlei Recht. Im Rahmen der Angleichung des Rechtssystems übernahm 1994 auch der Westen das im Osten geltende Recht. Das Schutzalter bei sexuellen Kontakten von Erwachsenen mit Minderjährigen ist seither einheitlich auf 16 Jahre festgesetzt, unabhängig davon, ob es sich um homo- oder heterosexuelle Kontakte handelt. Damit hatte die DDR maßgeblichen Einfluss auf die Gleichbehandlung Homosexueller in Deutschland.
Dr. Christian Könne, Oberstudienrat und Fachvorsitzender für Geschichte am Hohenstaufen-Gymnasium in Kaiserslautern; daneben Gestaltung von Unterrichtsmaterialien, Lehrerfortbildungen zu verschiedenen Themen in Rheinland-Pfalz. Forschungsschwerpunkte: Schulbuch- und Bildungsmedienforschung, DDR-Geschichte, Geschichte der Prostitution, Verfolgungs- und Emanzipationsgeschichte von Schwulen und Lesben, Geschichte der Amerikaner in Rheinland-Pfalz seit 1945.