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Homosexualität in der DDR

Homosexualität in der deutschen Gesetzgebung
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Schwule und Lesben in der DDR
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Eine Spurensuche in Ostdeutschland

Eine Vielfalt von Lebensentwürfen hat in Diktaturen keinen Platz. So kamen auch in dem von der SED festgeschriebenen Bild vom „sozialistischen Menschen“ der DDR anders Lebende und Denkende nicht vor. Die Partei- und Staatsführung und das Ministerium für Staatssicherheit begegneten diesen Bevölkerungsgruppen mit tiefem Misstrauen und witterten den Einfluss des „Klassenfeindes“ (der Bundesrepublik). Abweichende Lebensentwürfe wurden als Opposition und Bedrohung wahrgenommen, behindert und bekämpft. Eine „Szene“ wie im Westen konnte sich nicht herausbilden. Die Intoleranz der SED gegenüber Homosexualität wurde von großen Teilen der Bevölkerung geteilt.

1950er Jahre Rudolf Klimmer, Arzt, selbst homosexuell, kämpft für die Abschaffung des § 175.

1960er Jahre Prof. Dr. Dörner glaubt durch Erkenntnisse in der Rattenforschung, dass Homosexualität durch Hormonmanipulation verhindert werden kann (später relativiert er diese These).

1969 Siegfried Schnabl veröffentlicht „Mann und Frau intim“. Das Aufklärungsbuch widerspricht in seiner Darstellung von Homosexualität deutlich der negativen Sicht auf Homosexualität großer Teile der Bevölkerung.

1970er Jahre In den Printmedien gibt es nur eine sporadische Berichterstattung zum Thema. Kontaktanzeigen für Homosexuelle sind bis 1989 nicht möglich. Pressematerial aus dem Westen wird im Bekanntenkreis weitergereicht und auch die in der DDR empfangbaren westdeutschen Radio- und Fernsehsendungen haben eine große Bedeutung.

1972 Die Handreichung von Dr. Kurt Bach „Geschlechtserziehung in der sozialistischen Schule“ stellt Homosexualität als Fehlhaltung dar (später tritt Bach für die Akzeptanz von Homosexuellen ein).

1973 Die Weltfestspiele der Jugend in Ost-Berlin und der westdeutsche Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ führen zur Gründung der „Homosexuellen Interessengemeinschaft Berlin“ Ost, HIB, um Peter Rausch. Der Antrag der HIB auf Registrierung als Verein wird 1976 abgelehnt.

Mitte 1970er Jahre Es bildet sich eine Gruppe von lesbischen Frauen um Ursula Sillge. Im Gutshaus von Charlotte von Mahlsdorf in Berlin findet 1978 das per „Buschfunk“ angekündigte erste Lesbentreffen statt. 1987 bildet sich aus dieser Gruppe der schwul-lesbische Sonntags-Club, der bis heute besteht.

1982 Gründung des ersten „Arbeitskreises Homosexualität“ (AK) bei der evangelischen Studentengemeinde Leipzig. 20 weitere AK werden in der ev. Kirche in allen größeren Städten gegründet. Man macht Aufklärungsarbeit, Kulturarbeit, feiert Feste und formuliert Forderungen. Eduard Stapel ist in dieser „schwulen Volkshochschule“ landesweit engagiert.

Anfang 1980er Jahre Die Homosexuellen-Gruppen werden staatlicherseits behindert: Verbot von Vereinsgründungen, keine Zuteilung von Räumen für Gruppentreffen, keine Zuteilung von Papierkontingenten, keine Erteilung einer Druckgenehmigung. Die Staatssicherheit bespitzelt die Gruppen und unternimmt Versuche, diese Verbindungen bzw. ihre Mitglieder zu „zersetzen“, um so die „feindlich-negativen Kräfte“ auszuschalten.

1985 Erste wissenschaftliche Tagung zum Thema „Homosexualität“ des Leipziger AKs – Folgetagungen: 1988 Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), 1990 Jena.

1987 Prof. Dr. Reiner Werner veröffentlicht „Homosexualität“, das erste populärwissenschaftliche Buch der DDR zu diesem Thema. / Bei der Staatsjugend der DDR, Freie Deutsche Jugend (FDJ), entstehen die ersten Schwulen-Klubs wie „RosaLinde“ (Leipzig) und „Gerede“ (Dresden). / Erste Sendung zum Thema im DDR-Jugendradio DT64 „Mensch, du – ich bin homosexuell“.

1989 Der einzige DDR-Film zum Thema „Coming out“ unter der Regie von Heiner Carow hat am 9. November, der Nacht des Mauerfalls, Premiere.

1990 GrĂĽndung des Schwulenverbandes (SVD) der DDR, der nach der Wiedervereinigung 1999 zum gesamtdeutschen und bis heute arbeitenden Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) wird.

Autor*in

Dr. Christian Könne, Oberstudienrat und Fachvorsitzender für Geschichte am Hohenstaufen-Gymnasium in Kaiserslautern; daneben Gestaltung von Unterrichtsmaterialien, Lehrerfortbildungen zu verschiedenen Themen in Rheinland-Pfalz. Forschungsschwerpunkte: Schulbuch- und Bildungsmedienforschung, DDR-Geschichte, Geschichte der Prostitution, Verfolgungs- und Emanzipationsgeschichte von Schwulen und Lesben, Geschichte der Amerikaner in Rheinland-Pfalz seit 1945.

Bildnachweis: Privat-Archiv Eduard Stapel